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Geschlechter-Diätetik.
Gender und Speisekonventionen

Blick in die Nische

Das geheime Wirken der Dinge. Esskulturen – eine forschende Ausstellung
Blick in die Nische „Gender-Rollen“, Landesmuseum Koblenz, Oktober 2020
Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Sammlung Poignard im Landesmuseum Koblenz,
Foto: Ulrich Pfeuffer, GDKE

Esskulturen sind geprägt von traditionellen Geschlechterrollen, die häufig mit biologischen Funktionen oder menschlichen Grundbedürfnissen in Verbindung gebracht werden. So gelten bestimmte Speisen oder Speisegewohnheiten ebenso wie Praktiken vor, bei und nach Tisch als spezifisch weiblich oder männlich.

Der Verzehr von Fleisch und exzessives Trinken werden bis heute als männliche Domäne angesehen, die Vorliebe für Kuchen, Eis und Dessert gilt dagegen als typisch weiblich. Allerdings sind solche Zuschreibungen wesentlich abhängig von sozialer Zugehörigkeit und kultureller Herkunft.

Barttassen

Barttasse

Barttasse, um 1920, Porzellan, PST AG Stadtlengsfeld, bedruckt, Aufsicht
Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Sammlung Poignard im Landesmuseum Koblenz,
Inv.Nr. 1779.15, Foto: Ulrich Pfeuffer, GDKE

Vermutlich ist die Barttasse um die Mitte des 19. Jahrhunderts in England entstanden. Der eingelegte Steg schützt den gewachsten Schnurrbart vor Feuchtigkeit und heißem Dampf.

Barttassen wurden häufig auch als Souvenirs erworben und galten als Sammelobjekte.

Markige Sprüche

Barttasse 2

Barttasse mit Aufschrift „Beim Trinken soll die Tasse nützen, den flotten Schnurrbart
Dir zu schützen“, um 1920
Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Sammlung Poignard im Landesmuseum Koblenz, Inv.Nr. 1783.15
Foto: Ulrich Pfeuffer, GDKE

Barttassen zeigen in Material und Design eine auffällig große Vielfalt und verweisen damit auf die Wertschätzung des Bartwuchses als Männlichkeitsideal. Nicht selten waren sie mit markigen Sprüchen versehen. In gewissen Kreisen sind Barttassen auch heute wieder populär.

Retrotopie mit Schnurrbarttasse

Retrotopie mit Schnurrbarttasse

Sie machten sich lustig. Oder nahmen es ernst
Zeichnung von Maja Linke, Bleistift auf Papier, Berlin 2020.

Eigentlich hätte es von Anfang an klar sein müssen, dass es nicht funktionieren würde, diese Schnurrbarttassen aus dem 19. Jahrhundert von Heut’ auf Morgen wieder populär zu machen, bis in das letzte Glied der Nation. Tatsächlich wurde es auch relativ schnell klar, darum setzte man dann doch nicht nur auf PR und Co., sondern ordnete den täglichen Gebrauch der Tassen mit dem schützenden Schnurrbartträgerteil einfach an: In jeder kleinen Keimzelle Familie, zu jeder Mahlzeit, täglich zweimal, mussten alle als männlich kategorisierten Menschen ab sechzehn die Tassen benutzen und natürlich, darum ging es ja, sich einen entsprechenden Schnurrbart dazu stehen lassen.

Doch dann passierte es. (…) Unsere assistierenden Damen meldeten zuerst nur vereinzelt, dann aber nahezu gleichmäßig über die Deutschland GmbH verteilt die Nutzung der Schnurrbarttassen von, jetzt haltet euch fest: BartträgerINNEN! (…)

Es dauerte zum Glück nicht lange. Ein, zwei Jahre feierten sie also erneut die große Emanzipation und stützten ihre künstlichen Bärte auf den feinst geschwungenen Designerschnurrbartschutz und schämten sich keine Sekunde. Machten sich lustig. Oder nahmen es ernst. Wer weiß schon, was schlimmer ist.

aus: Maja Linke, Retrotopie mit Schnurrbarttasse und das Recht, zu gehorchen, Bulletin Esskulturen, Mappe II, Geschlechter-Diätetik, Faszikel 12.

Zerbrechliche Frauen – rauchende Männer

Zerbrechliche Frauen, rauchende Männer

Vorbereitung eines Arrangements von Exponaten für die Nische Genderrollen im Rahmen der Projektausstellung Das geheime Wirken der Dinge. Esskulturen – eine forschende Ausstellung
Deutsche Stiftung Denkmalschutz: Sammlung Poignard im Landesmuseum Koblenz, GDKE

Männern und Frauen werden häufig eigene Ess- und Trinkverhalten zugeschrieben. Auch in der gehobenen bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts waren diese Unterschiede deutlich ausgeprägt.

Die Herren zogen sich nach dem Essen ins Raucherzimmer zurück, wo sie neben Tabakwaren auch Kaffee und Spirituosen zusprachen. Die Damen begaben sich in den Salon oder ins Musikzimmer, um dort Kaffee oder Tee, Likör und Süßigkeiten zu sich zu nehmen.

Das Teeglas – ein weibliches Identifikationsobjekt?

Das Teeglas

Türkisches Teeglas 

Foto: Maria Mothes

In dem Roman The Bastard of Istanbul von Elif Shafak spielt das Teeglas eine wichtige Rolle. Im Hause der Kazancis, einer türkischen Familie in Istanbul, würde die Schnurrbarttasse ein trostloses Dasein fristen. Sie stünde unbenutzt und verstaubt in einem Schrank, von zarten Teegläsern und dekorativen Mokkatassen in den Hintergrund gedrängt. Keine der Frauen in der Familie hätte Verwendung für ein solches Gefäß. Bei den Tchakhmakhchians, einer armenisch-stämmigen in San Franciscos Diaspora, besäße Onkel Dikran den passenden Bart, an dem er von Zeit zu Zeit herum zu kauen pflegt.

aus: Maria Mothes, As fragile as a Tea Glass. Ein weibliches Identifikationsobjekt in The Bastard of Istanbul von Elif Shafak, Bulletin Esskulturen, Mappe II, Geschlechter-Diätetik, Faszikel 9.

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