Service-Kräfte.
Sozialstatus und Rollenspiel
Das geheime Wirken der Dinge – Esskulturen eine forschende Ausstellung
Blick in die Nische „Dienstpersonal“, Landesmuseum Koblenz, Oktober 2020
Foto: Ulrich Pfeuffer, GDKE
Gehobene Esskultur braucht Personal. Ein Koch bereitet die Speisen zu, Diener tragen sie auf und verbinden die Orte von Herstellung und Verzehr. Heute werden diese Leistungen vornehmlich im öffentlichen Raum und von mehr oder minder gut bezahlten Service-Kräften erbracht.
In den Familien der Ober- und Mittelschicht des 19. und 20. Jahrhunderts verkörpert das Servicepersonal die etablierten gesellschaftlichen Unterschiede. Dabei spielen Gender und Ethnie eine wichtige Rolle.
Dienstpersonal als Dekor
Köche, Hausmädchen und Diener sind für den reibungslosen Ablauf der Mahlzeiten unverzichtbar. Die unterschiedlichen Bezeichnungen beinhalten zugleich Status und Rollenzuweisungen. Arbeitstaugliche Kleidung (Kochmütze, Schürze, Livree) kennzeichnet die Aufgaben der Bediensteten.
Häufig werden ihre Funktionen auf Dekorgegenstände übertragen: Sie halten Tischkarten in den Händen, wärmen Eier oder Teekannen und sind in Form von Tischglocken jederzeit verfügbar
Figurinen aus der Sammlung Poignard
Fotos: Ulrich Pfeuffer, GDKE
Reklamesammelkarten der Sammlung Poignard
Der in Darmstadt geborene Chemiker Justus von Liebig (1803-1873) ließ seit 1862 in Uruguay Fleischextrakt produzieren. Das haltbare Konzentrat wurde aus Fleischresten bei der Ledergewinnung von Rindern hergestellt und nach Europa verschifft.
Auch die konkurrierende Firma Kemmerich & Co vertrieb unterschiedliche Fleischextrakte.
Zur Produktvermarktung nutzte man bebilderte Werbekärtchen. Die Reklamesammelkarten des 19. Jahrhunderts lassen häufig stereotype Vorstellungen erkennen und dokumentieren rassistische und chauvinistische Vorurteile. Als vermeintlich harmloser Humor trugen sie zur Fortschreibung problematischer Zusammenhänge zwischen Geschlecht, Hautfarbe und sozialem Status bei.
Reklamesammelkarten der Firmen Liebig und Kemmerich, 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts
Fotos: Ulrich Pfeuffer, GDKE
“Hints to Help” – Servicepersonal in den USA
Robert Roberts, The House Servant’s Directory
Or, a Monitor for Private Families
Titelblatt der zweiten Ausgabe.Boston/ New York, 1828 [Erstausgabe 1827]
Dieser Ratgeber sticht hervor, da er von einem afro-amerikanischen freien Diener verfasst wurde, der u.a. für den Governor von Massachusetts gearbeitet hat. Zwar betont er immer wieder die Unterwürfigkeit des Dieners, beansprucht aber für sich gleichzeitig equality, indem er die eigene Kompetenz im Umgang u.a. mit der materiellen Kultur der Mittel- und Oberschicht betont.
“The beauty of a servant is to go quietly about the room when changing plates or dishes; he never should seem to be in the least hurry or confusion, for this plainly shows that he is deficient of his duty. […] You should always have a quick, but light and smooth step, around the room while waiting; practice will soon bring you to this. And in the next place you should always wear tight shoes or thin pumps while waiting at dinner, as it is impossible for you to go quick and light, if you wear heavy shoes or boots, in the parlour. ” (50)
Vom Kellnern und anderen Schrecklichkeiten
1. – Aufwartende Frauen (Frances Donovan, The Woman Who Waits, 1920)
2. – Der Kellner als inkorporierte Verlogenheit (George Orwell, Down and Out in Paris and London, 1933/ Jean Paul Sartre, L’être et le néant, 1943; Huis clos, 1944)
3. – Der sozialistische Kellner (Alfred Kölling, Theorie und Praxis, 1956)
4 – Kommerzialisierung der Gefühle (Arlie Hochschild, The Managed Heart: Commercialization of Human Feeling, 1983)
5 – Kellnern als Selbstversuch (Barbara Ehrenreich, Arbeit poor: Unterwegs in der Dienstleistungsgesellschaft, 2001)
6 – Rassismus und Feinschmeckerkultur (Saru Jayaraman)
aus: Christoph Ribbat, Im Restaurant. Eine Geschichte aus dem Bauch der Moderne, Frankfurt am Main 2020,
gelesen von Annika Woyda (Theater Ehrenbreitstein), Mitschnitt vom 24. August 2021, Stadtbibliothek Koblenz
Service-Kräfte der Zukunft?
Der an der Universität Koblenz-Landau entwickelte Service Android LISA im Einsatz
© Foto: AGAS, Universität Koblenz
Wenn man der derzeit dominanten Position der kognitiven Neurowissenschaften Glauben schenken möchte, so findet unsere Kognition allein im Kopf statt. Wir scheinen ein vom Gehirn konstruiertes Ich zu sein, das aus der zerebralen Höhle heraus einen Einblick in die Welt da draußen finden möchte. […] Dass ein derart distanziertes, individualistisches und computerähnliches Verhältnis die Beziehung unseres Geistes zu unserer Umwelt bestimmen soll, dürfte sicherlich nicht nur Kellnerinnen und Kellnern unplausibel erscheinen.
aus: Maik Exner, Service-Kräfte in Aktion, Bulletin Esskulturen, Mappe IV, Service-Kräfte, Faszikel 24.