Speise-Räume.
Atmosphäre und Ambiente
Das geheime Wirken der Dinge. Esskulturen – eine forschende Ausstellung
Blick in die Nische „Speise-Räume“, Landesmuseum Koblenz, Oktober 2020
Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Sammlung Poignard im Landesmuseum Koblenz
Foto: Ulrich Pfeuffer, GDKE
Das bürgerliche Esszimmer ist eine Erfindung des 18. Jahrhunderts. Durch spezielle Einrichtungsgegenstände, Esstische und bequeme Stühle, Büffets und Vitrinen entstand das passende Ambiente für eine verfeinerte Tischkultur.
Dem gemeinsamen Mahl wurde große Bedeutung zugemessen. Die Tischgemeinschaft sollte den familiären Zusammenhalt festigen und Gelegenheit zu kultivierten Gesprächen bieten.
Die ärmeren Bevölkerungsschichten verfügten nur über wenig Wohnraum. Man aß daher in der Küche. Auf dem Lande war üblich, dass sich Großfamilie und Gesinde zum Essen in der Diele versammelten.
Büffet
Buffetschrank (Modell), um 1880, Buche, gebeizt
Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Sammlung Poignard im Landesmuseum Koblenz,
Inv. Nr. D.75.20, Foto: Ulrich Pfeuffer, GDKE
„Büffet“ wird im 18. Jahrhundert aus französisch buffet entlehnt. Im Unterschied zum heutigen Wortgebrauch bezeichnete man damit eine Art Anrichte. Die in Schüsseln und auf Platten oder Schalen hereingetragenen Speisen konnten hier abgestellt werden.
Der Buffetschrank war ein typisches Möbelstück der bürgerlichen Wohn- und Esskultur. Aus praktischen Gründen wurden die Utensilien, die man regelmäßig für die Mahlzeiten verwendete (Tischtücher, Servietten, Geschirr, Besteck, Gläser etc.), im Speise- oder Esszimmer aufbewahrt und den Gästen zur Schau gestellt.
Speisezimmer 1888
Anonym, Speisezimmer, vor 1888
Abb. aus Ferdinand Luthmer, Malerische Innenräume aus Gegenwart und Vergangenheit, Frankfurt 1888, Tafel 13
Foto: Manja Wilkens
Schaut man sich nun die Speisezimmer des mittleren und späteren 19. Jahrhunderts an, so hatte sich trotz des beibehaltenen alten Aufbaus einiges geändert. Zum zentralen Tisch und den Stühlen fanden sich, an der Wand aufgereiht, die unbenützten Stühle und ein oder zwei Anrichten. Da sich die Zahl der bei Tisch verwendeten Teile um ein vielfaches gesteigert hatte, reichte nun selten eine Anrichte. (…) Zu dem Mobiliar gesellten sich Bilder an den Wänden, farbige Tapeten und schwere Vorhänge (…), Tischleuchter ergänzten die hohen Aufsätze. In der Fülle der Einrichtungen und der Reize, die sich in einem solchen Esszimmer dem Auge aufdrängten, stand nun auch der äußere Anschein des Silbers zur Wahl.
aus: Manja Wilkens, Esszimmer im 19. Jahrhundert, Bulletin Esskulturen, Mappe VII, Speise-Räume, Faszikel 40.
Esszimmer als Verhandlungsorte
Speiseräume der „Grazer Moderne“
In der Ausstellung des Verbundprojekts „Esskulturen“ wurde ein runder Tisch mit drei Stühlen der sog. „Wieslergruppe“ eingedeckt, um das Ambiente eines funktional-mondänen Speiseraums zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit Elementen bürgerlicher Wohnkultur zu kombinieren. Die Tischordnung wird in diesem fiktiven Arrangement durch den Stuhl mit Armlehnen signalisiert. Im Speisesaal und Clubzimmer des gleichnamigen berühmten Hotels in Graz zeigten die Armlehnen-Stühle hingegen soziale Parität an, während der rechteckige Tisch mit seinen beiden Stirnseiten die Tischordnung bestimmte.
„Hotel Wiesler Garnitur“ – eingedeckt mit rundem Esstisch, Das geheime Wirken der Dinge – Esskulturen – eine forschende Ausstellung, Exponate der Nische „Speiseräume“, Landesmuseum Koblenz, Oktober 2020
Foto: Ulrich Pfeuffer, GDKE
Clubzimmer im Hotel Wiesler in Graz
Abb. aus „Das Interieur“ von 1909, Entwurf Marcel Kammerer
Ausführung Gebr. Thonet
Et in Arcadia … – Gastronomie als Zwischen-Raum
Einkaufsarkaden gibt es in fast jeder Groß- und Kleinstadt, so auch in der Innenstadt des Bonner Stadtbezirks Bad Godesberg. Arcadia lautet der klingende Name der Passage (…). Die Bögen, die Weite und die Offenheit, die der Name erwarten lässt, findet man allerdings nicht.
(…) insgesamt setzt sich die Passage aus drei eher schlecht beleuchteten Gängen zusammen, die nur knapp über zwei Meter hoch sind und an einem Punkt in der Mitte zusammenlaufen, sodass man von keinem Eingang aus einen Ausgang sieht. (…) Geschäfte, die auf ihre Schaufensterwirkung angewiesen sind, können und konnten sich durch die fehlenden Passant*innen in den inneren Gängen nicht halten. Die Gastronomie nutzt jedoch eine Strategie, die auch in anderen Kontexten zu beobachten ist: Der möglichen Kundschaft wird die Eintrittsentscheidung erleichtert, indem der Zugang zum Restaurant in verschiedene Stufen unterteilt ist. Neben einem der Eingänge der Passage, noch im Freien, liegt ein erster Außensitzbereich. Er geht über in den Innenraum des Restaurants, durch dessen Fenster nach innen hin man auf den zweiten Sitzbereich blickt. Dieser liegt überdacht am Schnittpunkt der drei Passagengänge (…). Durch die Einsehbarkeit vom Restaurant aus bildet er die dritte Stufe, und leitet über in die Damaskus Lounge(…) In diesem Aufbau wird der Arkaden-Effekt nachgestellt, der architektonisch fehlt.
aus: Mila Brill, Arcadia. Atmosphäre und Materialität in gastronomischen Zwischen-Räumen, Bulletin Esskulturen, Mappe VII, Speise-Räume,
Faszikel 38.
Lageplan von Arcadia in Bad Godesberg
Ein Großteil der Passage ist aktuell durch Gastronomie belegt, mit Sitzbereichen nah Außen
Foto und Bearbeitung: Mila Brill
Speisezimmer en miniature
Als ehemaliger Kunstlehrer hatte ich im Unterricht mehrfach das Thema „Mein Wunschzimmer“ mit meinen Schüler*innen zunächst in einem Gespräch erarbeitet; im Anschluss wurden die Ergebnisse in einem durch einen Schuhkarton simulierten Raum dreidimensional umgesetzt. (…) Warum also zu dem Thema „Mein Lieblingsessplatz“ nicht ebenfalls einen Raum gestalten?
Um den Kontrast zwischen Früher und Heute für die Schüler*innen anschaulich zu gestalten, wollte ich mit historischen Puppenmöbeln aus der Sammlung Poignard einsteigen. Trotz des reichhaltigen Bestandes war es nicht einfach, die entsprechenden Möbel zu finden (…). Doch dann kam ein Anruf der Restauratorin, welche die Sammlung inventarisiert: Sie hatte ein vollständiges Ensemble Salonmöbel aus der sogenannten Gründerzeit gefunden, bestehend aus Tisch, zwei Armsesseln, zwei Stühlen sowie einem Sofa. Die rund 150 Jahre alten Puppenmöbel bereicherten wir mit einem Teppich und einem Biedermeiersekretär. Durch diese Ergänzung bekam die Essgruppe eine größere Tiefenwirkung. Zudem benötigte ich den Sekretär, um darauf eine Uhr zu stellen; sie würde im Unterrichtsgeschehen noch eine Rolle spielen.
aus: Jörg Hahn, „Mein Lieblingsessplatz“. Eine Unterrichtsreihe in einer sechsten Klasse des Wilhelm-Remy-Gymnasiums, Bendorf/ Rhein, Bulletin Esskulturen, Mappe VII, Speise-Räume, Faszikel 37.