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Als Winter noch Winter waren

Seit Monaten herrscht klirrende Kälte, doch ein Ende des Dauerfrosts ist nicht in Sicht. Die Mosel hat man schon lange nicht mehr fließen sehen, eine meterdicke Eisfläche überdeckt den Fluss, der Schiffsverkehr ist eingestellt. Für Peter Kalter ein Problem, führt ihn sein Arbeitsweg doch normalerweise mit der Fähre über die Mosel. Da gibt es nur eine Option: mit dem Auto über die Eisdecke zur Arbeit fahren.

Stolze 81 Jahre lebt Peter Kalter nun schon an der Untermosel. Dementsprechend viel kann er aus seinem Leben berichten. Das Gülser Urgestein hat in seinem Leben schon viele kalte Winter erlebt: „Die Mosel war in meiner Kindheit oft zugefroren!“. Ein Winter ist ihm dabei aber noch besonders im Gedächtnis geblieben. Länger, kälter, härter:  An einen Winter, wie 1962/63 kann er sich kein zweites Mal erinnern.

Von November 1962 bis März 1963 herrschte Dauerfrost im Rhein-Mosel-Tal. Die Temperaturen hingen monatelang bei bis zu -20 Grad fest. Die Mosel war von einer 60-70cm dicken Eisfläche bedeckt. Das Ausmaß der nie enden wollenden Kälte machte sich bemerkbar, erzählt Peter Kalter: „Bei der Eisbildung gelang es den Eisbrechern zunächst noch eine Schifffahrtsrinne freizulegen, aber der starke Dauerfrost machte es danach nicht mehr möglich.“

Dies brachte auch für ihn persönlich einige Probleme mit sich. Zu dieser Zeit war er als Büroangestellter bei einem Landschaftsbau-Betrieb in Moselweiß tätig. Normalerweise fuhr Peter Kalter mit der Fähre von Güls über die Mosel zur anderen Uferseite. Das Eis ließ jedoch keinerlei Schiffsverkehr zu. Zwei Optionen blieben ihm nun: Ein kilometerlanger Fußweg durch die Kälte – oder mit dem Auto zur Arbeit fahren. Eine Autobrücke in der Nähe gab es zu dieser Zeit jedoch nicht, er hätte einen langen Umweg fahren müssen. Zudem ließ das Wetter nur selten zu, dass er mit seinem Auto runter ins Tal fahren konnte. Nun brachte die Kälte für Peter Kalter aber auch einen Vorteil mit sich. Das Eis auf der Mosel war so dick, dass er mit dem Auto über den Fluss nach Moselweiß fahren konnte. Mit dem Auto über die Mosel – ein Szenario, was heutzutage kaum mehr vorstellbar scheint.

Die zugefrorene Mosel konnte aber nicht nur als Arbeitsweg genutzt werden. Die Menschen wussten, sich die Umstände auch anders einzuverleiben. Was an sonnigen Tagen auf der Mosel alles unterwegs war, erzählt Peter Kalter hier:

Selbst Schlittschuh gefahren ist Peter Kalter nicht. „Ich war kein Wintersportler“, sagt er über sich. Wie die Schuhe aussahen, daran kann er sich aber noch gut erinnern. „Heute würden die jungen Leute lachen darüber, wie die aussahen.“ Mit Spangen hat man die Kufen, ähnlich wie bei Rollschuhen, an der Schuhsohle festgedreht.

An ein weiteres Ereignis erinnert sich Peter Kalter aus einem ähnlich kalten Winter. Die zugefrorene Mosel sorgte nicht nur für Heiterkeit und Spaß, sie half, Leben zu retten:






Eisschollen und Hochwasser

Die klirrende Kälte und monatelanger Dauerfrost waren für die Menschen damals gar nicht das größte Problem. Rohrbrüche und kaputte Wasserleitungen gehörten in dieser Jahreszeit dazu, erzählt er. Man wusste sich aber weitgehend zu helfen und sich gegen die Kälte zu schützen.

Er betont, dass den Leuten damals eine andere Sache viel größere Sorgen bereitete: das Hochwasser. Wenn die Temperaturen stiegen und die Eisdecke brüchig wurde, lösten sich teils mächtige Eisschollen. Von der Strömung mitgerissen türmten sie sich in der langen Rechtskurve der Mosel bei Metternich auf. Dies führte wiederum zu einem Rückstau des Tauwassers, das in großen Massen von den Schneeschmelzen am Oberlauf der Mosel flussabwärts strömte. Die Folge: Hochwasser in Güls. „Das war eine viel größere Bedrohung für die Leute, wenn sich das Wasser bis weit in den Ort gestaut hatte und alles unter Wasser stand.“ Die dicken Eisschollen richteten zudem teils große Schäden an, indem sie Schiffe nach oben drückten oder die Ufergeländer demolierten.






"Die Winter sind ja heute keine Winter mehr"

An einen letzten großen Eisgang, bei dem große Eisschollen die Mosel entlangflossen, kann sich Peter Kalter nur noch aus dem Jahr 1997 erinnern. Schon da sei das aber eine Ausnahme gewesen, dass die Mosel so stark zugefroren war. „Die Winter sind ja heute keine Winter mehr“, meint er lächelnd. Das Wetter hat sich stetig verändert und der Frost über die Jahrzehnte kontinuierlich abgenommen.

Große Temperaturschwankungen, wie man sie auch diesen Winter 2019 wieder einmal erlebt hat, sind für Peter Kalter mittlerweile normal. Auf die Frage, ob sich der Klimawandel an diesen Entwicklungen bemerkbar mache, antwortet er entschlossen: „Ja, absolut!“. Nostalgisch blickt er auf seine Kindheit zurück. Er erinnert sich an seine jungen Tage, als er die kalte Jahreszeit und die extremen Wetterbedingungen als Abenteuer empfand. Als Kind sind sie manchmal den ganzen Tag Schlitten gefahren. Peter und seine Freunde, von Bisholder hinunter bis nach Güls. „Der Weg wieder nach oben war natürlich ein Nachteil“, fügt er schmunzelnd hinzu. Vor der Kälte schützten sie sich dabei mit selbstgestrickten Strümpfen und Handschuhen ihrer Mütter, Funktionskleidung gab es nicht.

Dass die Kinder die Natur heutzutage nur noch selten in solch einer Weise erleben können, findet Peter Kalter schade. „Das Erleben der Natur in solchen Situationen geht der Jugend vielleicht ein bisschen ab“, meint er. Vermissen tut er die harten Winter jedoch nicht. Als Kind sei es zwar schön gewesen, aber im Alter würden solche Wetterbedingungen das Leben nicht gerade bereichern. Ohnehin glaubt er nicht, dass es so einen Winter wie 1962/63 noch einmal geben wird. Die Winter, als die Mosel meterdick zugefroren war, als man mit dem Auto über die Mosel fahren konnte, sind vorbei. Peter Kalter hat dies noch miterlebt, den jüngeren Generationen bleiben solche Erlebnisse verwehrt, die Winter in Koblenz sind eben heute keine Winter mehr.

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