– by Simeon Herrmann
Von Januar bis Mai war ich für mein Erasmus-Auslandssemester in Lappeenranta, Finnland, genauer gesagt an der Lappeenranta University of Technology. Lappeenranta ist eine kleine Stadt im Südosten Finnlands, nahe der russischen Grenze und ca. 2 Stunden Zugfahrt entfernt von der Haupstadt Helsinki.
In Lappeenranta gibt es pro Jahr ebenfalls zwei Semester, welche allerdings anders aufgeteilt sind als in Deutschland. Das Autumn Semester geht von September bis Dezember und das Spring Semester von Januar bis Mai. Jedes Semester ist dabei auch noch in zwei Perioden aufgeteilt, die ermöglichen, dass manche Kurse auch nur die erste oder zweite Hälfte eines Semesters stattfinden. Die Unterschiede der Semesterzeiten können natürlich schon zu Problemen führen. Bei mir bedeutete das Studieren im Spring Semester beispielsweise, dass ich die finale Phase des heimischen Wintersemesters bereits verpasse, aber auch den Anfang des kommenden Sommersemesters. Die Bewerbung bei der LUT funktionierte dann größtenteils problemfrei, hauptsächlich über eine separate Seite (mobility-online) mit Checklisten für die erforderlichen Dokumente.
Bezüglich der Unterkunft muss man sich keine großen Sorgen machen. LOAS, die Organisation, die die Studentenwohnheime in Lappeenranta bereitstellt, gibt Studenten, gerade Austauschstudenten praktisch eine Garantie, ein Zimmer zu bekommen, meistens in einer 2er- oder 3er-Wg. Eine Anfrage muss man allerdings dennoch separat auf deren Seite stellen. Auf deren Seite loas.fi kann man sich die Wohnheime und deren Lage sowie Preise auch anschauen. Als Austauschstudent kommen normalerweise allerdings nur drei Wohnheime in Frage, in denen auch größtenteils internationale Studenten wohnen. Gerade im Wohnheim in der Straße Karankokatu, in dem ich wohnte, lebten die meisten Austauschstudenten, was für das Zusammenleben untereinander wirklich optimal ist. Die angegebenen Mietpreise waren jedoch deutlich zu niedrig angesetzt. Während ein Zimmer in einer 3er-WG in Karankokatu laut Website 233 Euro kosten sollte, wurden am Ende 286 Euro zuzüglich 30 Euro Möbel- und Stromgebühr verlangt. Da die Bearbeitung der Anfragen leider auch nicht besonders transparent ist und man nur ein Angebot für ein Zimmer bekommt, bleibt einem auch nicht viel anderes übrig, als dieses anzunehmen. Überhaupt sind die Preise in Finnland ziemlich hoch, daher sollte man für die Zeit schon etwas Geld gespart oder so zur Verfügung haben.
Die Kurse an der LUT sind generell etwas anders als in Deutschland. Die Teilnehmerzahlen sind geringer, jedenfalls in den Kursen, die für Austauschstudenten angeboten werden, und es gibt viele Gruppenarbeiten- und projekte sowie regelmäßige Reports. Meine Kurse beinhalteten die letzten beiden Dinge zwar weniger, aber unterschieden sich dennoch von dem was ich bisher kannte.
Während die Kurse „Design Patterns“ und „Optimization ins business and industry“ relativ normal waren mit Vorlesungen und Gruppenabgaben, waren die Kurse „Introduction to Economics“ sowie „Green IT and Sustainable Computing“ beide nur reine Einzelarbeit für mich, in der ich zusammen drei Bücher mit 300 bis 900 Seiten lesen musste. Vorlesungen und Übungen gab es in meinem Fall nicht. Im ersten der beiden Kurse gab es nur eine Multiple-Choice-Klausur am Computer und in Green IT musste anhand der Materialien als einzige Prüfungsleistung eine Hausarbeit mit verschiedenen Teilaufgaben geschrieben werden.
In beiden Fächern litt unter dieser Menge, die man zu lesen und zu schreiben hatte, dann leider auch die Qualität der eigenen Leistung, was Kommilitonen z.B. bei wöchentlichen Reports genau so erging. Gruppenarbeiten gestalteten sich häufig auch als schwierig in der Kommunikation, jedenfalls mit Einheimischen. Trotz der vielen Freizeitaktivitäten (später im Text) saßen viele Kommilitonen und auch ich daher einen großen Teil der Tage vormittags bis spät nachmittags zusammen in der Bibliothek, was aufgrund der Gemeinschaft allerdings auch weniger trist war als es klingt.
Des Weiteren werden einige Sprachkurse angeboten. Ich habe beispielsweise auch Finnisch 1 und 2 belegt, was einen interessanten Einblick in die Sprache gibt. Je nachdem wie intensiv man lernt, kann einem das schon mal im Supermarkt o.ä. helfen, für weiteres ist die Sprache aber zu komplex um sie in der wenigen Zeit ansatzweise zu beherrschen.
Generell ist die Ausstattung der LUT schon moderner und komfortabler als das, was man in Deutschland gewohnt ist. Es gibt fünf verschieden Restaurants bzw. Mensen auf dem und in der Nähe des Campus, überall genügend Sitzmöglichkeiten und eine Bibliothek mit drei Stockwerken, in der man sowohl in Ruhe als auch in lockerer Atmosphäre arbeiten kann inklusive Gruppenarbeitsräumen, die man online reservieren kann. Zudem ist der Großteil der Uni auch 24/7 begehbar, auch wenn über nachts nur mit einem magnetischen Schlüssel, den Studenten und Mitarbeiter bekommen. Auch zwei Fitnessräume, Sportkurse und Sporthallen, die man ebenfalls privat und kostenlos reservieren kann, gibt es auf dem Campus. Da die LUT sehr viele internationale Studenten aufnimmt, kann man sich auch als nicht finnisch sprechender Mensch gut zurechtfinden, sowohl was Mitarbeiter als auch Schilder usw. betrifft.
Dies soweit zu der mehr akademischen Seite des Auslandssemesters. Denn auch wenn es eigentlich ja primär um das Studieren im Ausland geht, bleibt letztendlich doch eher das (miteinander) Leben im Ausland im Kopf. Wie schon gesagt, leben die Austauschstudenten quasi immer zusammen und so hat man einfach ein einmaliges Zusammenleben dort. Man wird so zwar wirklich etwas von den Finnen separiert, jedoch ist es ohnehin etwas schwierig mit Finnen bzw. den heimischen Studenten näher in Kontakt zu kommen, wenn diese einfach mehr im Alltag sind und schon viele Bekanntschaften habe. Zudem sind die Finnen ja bekannterweise auch etwas introvertierter.
Nichtsdestotrotz haben wir auch einige internationale Studenten oder Finnen kennengelernt, mit denen man im Kontakt geblieben ist und die auch sehr offen und freundlich waren. Den Großteil der Zeit bleibt man dann aber doch unter sich, da die Unternehmenslust unter den Austauschstudenten etwas größer ist und man quasi miteinander lebt.
Lappeenranta selbst ist eine recht beschauliche Stadt und bietet abgesehen von der idyllischen Natur mit vielen Wäldern und dem größten See Finnlands theoretisch erstmal nicht so viel. Die Uni sowie das Stadtzentrum liegen beide etwa 3 km vom Wohnheim entfernt, jedoch jeweils genau in die andere Richtung. Meistens pendelt man daher eher zwischen Uni und Wohnheim und kommt gar nicht so häufig ins Zentrum, das immerhin ein paar Einkaufszentren, Kneipen und zwei bis drei Clubs bietet. Persönlich fand ich das sehr angenehm, eben nicht von einem riesigen Angebot einer Großstadt erschlagen zu werden. So geht abends nicht jeder woanders hin und man sorgt einfach selber für Stimmung. Sozial offen sollte man deshalb allerdings schon sein, denn alleine wird es möglicherweise doch langweilig auf Dauer. Es ist aber auch alles andere als schwer, Anschluss zu finden.
Abseits vom Nachtleben hängt das Freizeitangebot natürlich auch stark von der Jahreszeit ab, in der man studiert. Während sommerlicher Temperaturen kann man im See baden, grillen oder Kayak fahren, und im Winter Cross-Country Skiing oder Schlittschuh fahren oder auf dem zugefrorenen Eis spazieren gehen. Ich persönlich hatte während des Frühlingssemesters aufgrund des ungewöhnlich warmen Frühlings nach dem langen Winter zu beiden Seiten die Möglichkeit. In die Sauna geht man hingegen über die ganze Zeit regelmäßig.
Ein weiterer großer Teil ist natürlich das Reisen. Abgesehen von den Möglichkeiten von sich aus mit Freunden durch Finnland und Umgebung, gerade Russland bietet sich an, zu reisen, gibt es auch einige organisierte Trips des Erasmus Student Networks in Lappeenranta. In meinem Semester wurden Tallinn, Lappland, St. Petersburg und eine Party-Kreuzfahrt nach Stockholm angeboten. Auf einigen dieser Reisen trifft man dabei auch auf Erasmus-Studenten aus anderen Städten in Finnland oder benachbarten Ländern. Gerade die Fahrt nach Lappland ist trotz anstrengender, langer Busfahrten eine einmalige Erfahrung, bei der man auch gute Chancen hat, Nordlichter zu sehen und man bis an die norwegische Küste am Nordpolarmeer kommt.
Alles in allem ist ein Auslandssemester in Lappeenranta daher absolut zu empfehlen. Wer nach Großstadtleben in einer pulsierenden Stadt sucht, für den ist es vielleicht weniger geeignet. Doch wer sich in der Natur und Kleinstadtatmosphäre wohlfühlt und sich ein enges Zusammenleben mit den Kommilitonen wünscht, für den ist Lappeenranta optimal.