Der Kaiser kennt europäische Uhren, doch hat er noch nie einen künstlichen Springbrunnen gesehen. Nachdem er auf einer Illustration eines jener Wasserspiele erblickt hat, die so häufig die Vor- oder Rückseiten europäischer Barockpaläste zieren, befiehlt er den Jesuitenmissionaren, etwas Vergleichbares zu konstruieren. Für die technischen Belange soll Pater Benoist verantwortlich zeichnen, der als Astronom und Mathematiker allerdings nur wenig von Brunnenbau versteht. (…) So entstehen in einem eingefriedeten Bereich im Osten des Sommerpalasts die Xi Yang Lou, die „Westlichen Paläste“ (…). Ausgangs- und Zielpunkt dieser umfangreichen architektonischen européerie sind die Fontänen und Wasserbecken. Das Kernstück der gesamten Anlage bildet der „Palast des ruhigen Meeres“ (…)

Die Planungen, die Entwürfe, die Konstruktion der Springbrunnenanlage, die schwierige Kommunikation mit den chinesischen Arbeitern, die Intrigen der Hofleute, vor allem aber die Angst, den Forderungen des Kaisers nicht Genüge zu tun, lassen das Leben von Pater Benoist im Sommerpalast alles andere als idyllisch erscheinen. Beständig ist er in Eile, in Hast, in Sorge. (…) Der Pater verzehrt sich buchstäblich, und daran sind nicht zuletzt seine Mahlzeiten schuld, genauer: die Anstrengungen, dorthin zu gelangen, wo sie für ihn bereitstehen. Denn die Speisen werden dem Pater nicht gebracht, sie folgen ihm nicht nach, er muss sie aufsuchen. „Wahrlich ermüdend“ sei es für den Missionar gewesen, während der Arbeiten an den „Westlichen Palästen“ sich rechtzeitig an die vorgesehenen Orte seiner Mahlzeiten zu begeben. Zwar habe der Kaiser ihm „häufig Speisen von seiner Tafel“ geschickt, zweifellos eine besondere Ehre, die aber nichts daran ändert, dass die von dem aufopfernden Dienst für den rechten Glauben ohnehin bereits beeinträchtigte Gesundheit des Paters Benoist durch das strenge Fasten und die unregelmäßigen Essenszeiten zusätzlich geschwächt wird. So heißt es zumindest in dem anonymen Nachruf, der nach dem Ableben des Paters 1775 die vielfältigen Beschwernisse der China-Mission auch als ein konkretes esskulturelles Problem resümiert.

aus: Marion Steinicke, Die Zeit, die Uhren und die Speisen des Kaisers. Nachrichten aus dem Reich der Mitte, in: Bulletin Esskulturen, Mappe VI, Mahl-Zeiten, Faszikel 34.