Allgemein

Wenn die Kneipe plötzlich leer bleibt

Was die Corona-Pandemie mit der Kneipenkultur macht

Januar 2020

Freitag, 20:00 Uhr. Die Innenstadt mit ihren Büroräumen und Einkaufsstraßen, in denen die Menschen den Tag über geschäftig umher gewuselt sind, wird immer lichter. Stattdessen zieht es die Menschen in die verwinkelte Altstadt voll von gemütlichen Restaurants, Bars und Kneipen. Mittendrin liegt die Kneipe Handelshof. Noch ist es drinnen eher leer, nur wenige der Tische sind besetzt. Das wird sich bald ändern. Spätestens ab 22 Uhr wird es schwierig sein, noch einen freien Platz zu ergattern. Bis in die Morgenstunden wird hier gemeinsam gefeiert und getrunken.

April 2020

Freitag, 20:00 Uhr. Heute werden sich die Rollläden des Handelshofs nicht nach oben bewegen. Die Altstadt bleibt leer, fast wirkt sie wie ausgestorben. Eine ungewohnte Ruhe ist eingekehrt. Statt gut gelaunten Gruppen, die sich auf einen ausgelassenen Abend freuen, sind nur vereinzelt Paare zu sehen, die gemütlich durch die Gassen schlendern. Mit gebührendem Abstand zu allen anderen Passanten, denn der ist gerade besonders wichtig. Hinter den verschlossenen Türen des Handelshofs befindet sich eine leerer Innenraum – ein befremdlicher Anblick für einen Freitagabend. Die Stühle sind hochgestellt. Der Raum ist in Stille und Dunkelheit gehüllt.

Juni 2020

Freitag, 20:00 Uhr. Langsam nimmt die Hitze ein wenig ab und es wird angenehm, draußen zu sitzen. Vor dem Handelshof reihen sich Tische und Bänke aneinander. Kleine Grüppchen sitzen hier gemütlich zusammen und unterhalten sich. Drinnen dagegen bleibt die Kneipe leer. Durch hochgestellte Stühle, die ungewohnte Helligkeit und das Schild „Kein Thekenbetrieb“ wirkt der Innenraum weniger einladend als sonst. Dennoch genießen die Gäste ihre Zeit im Handelshof gerade ganz besonders. Denn schon um 22 Uhr muss das letzte Bier ausgetrunken und der letzte Gast aufgebrochen sein.


Eine bewegte Zeit

Eindrücke aus einem halben Jahr, zwischen denen Welten zu liegen scheinen. 2020 ist ein bewegendes Jahr für alle. Das Virus COVID-19 hat die Welt auf den Kopf gestellt. Doch nicht nur das Alltagsleben der Menschen hat sich einschneidend verändert. Auch ihre Freizeitgestaltung, ihre Abendplanung und ihr Ausgehverhalten mussten sich der aktuellen Situation anpassen. Was macht das mit einem Ort wie dem Handelshof, der von gemütlichem Gedränge, ausgelassener Stimmung und langen Nächten lebt? Wie gehen der Wirt, seine Angestellten und die Kunden damit um? Was passiert, wenn ein belebter Ort plötzlich ausstirbt – wenn die Kneipe einfach leer bleibt?

Über ein halbes Jahr lang haben wir die Menschen um die Kneipe Handelshof begleitet. Von der jahrelangen Normalität bis zum Ausnahmezustand und schließlich zurück zu einer neuen Normalität.

Die folgenden Schilderungen, Interviewsequenzen und Eindrücke stammen aus dem Zeitraum von Januar 2020 bis zum Sommer 2020.

Im Herzen der Koblenzer Altstadt

Inmitten von Koblenz liegt die Gemüsegasse, die zahlreiche Lokalitäten beheimatet. Hier ist alles zu finden, was das Herz begehrt: ein Reisebüro, ein Tattoo-Studio, eine Pizzeria, ein Fahrradverleih, ein hippes Bistro, ein Weinhaus, eine Lounge…

Hinter einer unscheinbaren Fassade befindet sich der Handelshof. Ein Ort, der dafür bekannt ist, dass hier die Nacht zum Tag gemacht wird und der nicht umsonst eine beliebte Anlaufstelle für Jung und Alt ist.

Ein ganz schön alter Schuppen

Schon seit 20 Jahren betreiben Marcel und Yvonne Diekel die Kneipe in der Koblenzer Altstadt.

Doch der Handelshof selbst und seine Tradition sind ein gutes Stück älter als die beiden. Schon seit 1960 öffnet der Handelshof fast täglich seine Türen. Nachdem sich in den Räumlichkeiten früher eine Metzgerei befand, machten 1960 Yvonnes Mutter und ihr damaliger Mann Fred den Ort Handelshof daraus. Warum damals der Name „Handelshof“ gewählt wurde, ist heute nicht mehr nachvollziehbar.

Yvonne half schon in frühen Jahren in der Kneipe mit. Als sie in den 90er Jahren Marcel kennen und lieben lernte, wurde auch dieser schnell Teil der Kneipenfamilie. Im Mai 2000 übernahmen die beiden dann den Handelshof und verwirklichten damit ihren Traum von einer eigenen Kneipe.

Das Konzept? – Authentisch sein!

Nicht nur beim Namen der Kneipe setzen Marcel und Yvonne weiterhin auf Tradition. Seit 60 Jahren ist der Handelshof eine urige Raucherkneipe, in der man gerne gesellig zusammensitzt. Das Licht ist schummrig. Braune Holzmöbel glänzen schwach im Schein der Lampen. Die Wand hinter der Theke ist voll von Gläsern in verschiedenen Formen und sämtlichen Spirituosen, die das Herz begehrt.

Durch ihre Einrichtung wirkt die Kneipe fast schon ein wenig aus der Zeit gefallen. Digitale Getränkekarten oder WLAN für die Gäste sucht man hier vergebens. Marcel gestaltet die Kneipe ganz nach dem Motto „kein WLAN – hier trinken und plaudern wir“ und wahrt so das traditionelle Ambiente einer Kneipe. Lediglich ein kleiner Fernseher zum Fußballschauen findet sich an der Wand.

Marcel möchte seinen Kunden eben noch eine „richtige“ Kneipe bieten. Von denen gibt es in Koblenz immer weniger, bekundet er. Der 49-Jährige setzt um, was ihm gefällt und gibt seiner Kneipe dadurch eine besondere Authentizität.

Genau das macht sowohl für den Wirt als auch für die Kunden die Kneipen-Atmosphäre im Handelshof ganz besonders aus.

Von früh bis spät – von spät bis früh

In den sechziger Jahren empfing der Handelshof schon ab sechs Uhr in der Frühe seine Besucher. Diese konnten auch gerne bis ein Uhr nachts bleiben, spätestens dann musste jedoch aufgrund der Nachtkonzession geschlossen werden. Auch als Marcel die Kneipe vor 20 Jahren übernahm, öffnete er die Kneipe stets vormittags, damit er Kunden zum Frühschoppen empfangen konnte. Doch seit einigen Jahren setzt er nun auf spätere Öffnungszeiten. Seit die Sperrstunde weggefallen ist, können Gäste erst ab abends in den Handelshof einkehren. Dafür bleibt die Kneipe nun die ganze Nacht geöffnet. 

Manchmal geht der letzte Gast um fünf Uhr, manchmal aber auch erst gegen neun Uhr. Ein weiteres Merkmal, das den Handelshof auszeichnet. Auch wenn alle anderen Lokalitäten in Koblenz schließen – hier bekommt man immer noch ein Bier.

Der Handelshof in Zeiten von Corona

All dies galt bis zum Beginn der Corona-Pandemie. Von Mitte März an bis Mitte Mai blieben die Tische in der Kneipe leer. Wirt, Angestellte und Gäste mussten zuhause bleiben.

Als es dann endlich hieß, dass die Kneipen ab dem 13. Mai wieder öffnen durften, arbeitete auch Marcel mit Hochdruck an einem neuen Konzept. Und schon am 16. Mai ging es wieder los. Allerdings ganz anders als zuvor. Statt Nachtbetrieb musste nun wieder wie in alten Zeiten auf Tagesbetrieb umgestellt werden. Geöffnet wurde schon am Mittag oder Nachmittag, dafür musste spätestens um 22 Uhr Feierabend sein. Es musste dann geschlossen werden, wenn der Abend sonst eigentlich gerade erst anfing. Nachdem die Sperrstunde bis zum 15. Juli immer weiter nach hinten verschoben wurde, fiel sie ab dann vollständig weg.

Dennoch: das Gefühl ist und bleibt ein anderes. Statt rund 80 Personen dürfen sich im Innenraum der Kneipe nun nur noch 15 Personen aufhalten. Es muss viel mehr auf Regeln und Abstand geachtet werden. 

Das Feiern ist nicht mehr so unbeschwert wie vorher, die Atmosphäre ist eine andere.


Weder für den Wirt noch für seine Angestellten oder Kunden ist das eine einfache Situation.

Was bedeutet der Handelshof für den Wirt und seine Angestellten? Was macht diesen besonderen Ort für sie aus? Und wie gehen sie damit um, wenn die Kneipe plötzlich leer bleibt? 

Hier geht es zu ihrer Perspektive:

Direkt weiter? Dann gibt es folgende Beiträge zu entdecken: 

Der Handelshof auf Facebook: https://www.facebook.com/handelshof/?ref=page_internal

read more: