„HipHop meets Academia“ war das Thema einer mehrtägigen internationalen Tagung im Jahr 2006, welche mit einer Podiumsdiskussion auf dem Splash!-Festival in Chemnitz endete. Ziel dieser Veranstaltung war es, „eine bisher einzigartige Symbiose aus Wissenschaft und gelebter Jugend-, Medien-und Musikkultur“ zu ermöglichen. Doch wurde diese einzigartige Symbiose wirklich erreicht?
Hip-Hop als Forschungsfeld
Anfang der 2000er Jahre interessierten sich Wissenschaftler*innen zunehmend für die Popkultur und eröffneten verschiedene Forschungsbereiche innerhalb dieser Thematik. Auch der damals frisch promovierte Herr Meier legte sein Augenmerk auf die Popkulturforschung. Durch sein früheres Leben in Berlin lernte er die Graffiti-Szene kennen und fasste gleichzeitig in der Szene Fuß. Dies diente ihm als Einstieg in das Feld der Hip-Hop Performance und zusätzlich eröffnete es ihm sein ganz persönliches Forschungsfeld. Er konnte zwei Kollegen für ein Projekt begeistern, welches sich mit einem Bereich der Popkultur beschäftigt: HipHop meets Academia. Die wissenschaftliche Forschung in diesem Bereich der Popkultur ist jedoch kein neues Phänomen: Schon in den 1970er und 80er Jahren wurde sich mit dieser Massenkultur im akademischen Kontext auseinandergesetzt. Die drei Wissenschaftler griffen diesen Forschungsbereich auf und ergänzte ihn durch ein Zusammenspiel von Disziplinen.
Die drei Wegbereiter im Porträt
Das wissenschaftliche Forschungsteam von „HipHop meets Academia“ bildeten die drei Professoren Stefan Meier, Gunter Süß und Karin Bock. Sie alle stammen aus verschiedenen akademischen Bereichen.
Stefan Meier
Der zweifach examinierte Stefan Meier promovierte 2007 im Fach „Medienkommunikation“, an der Technischen Universität in Tübingen. Im Jahr 2013 schloss er sein erstes Habilitationsverfahren ab. Das Zweite erlangte Herr Meier an der Universität Koblenz-Landau. Die Umhabilitierung fand 2019 durch den Vortrag „Abonnier mich, also bin ich. Influencertum als Prototyp digitalisierter Identitätsentwürfe“ statt. Seitdem lehrt Herr Prof. Dr. Meier fortlaufend am Koblenzer Campus.
Gunter Süß
Das zweite Teammitglied Herr Gunter Süß studierte bis Anfang 2000 die Fächer Anglistik/Amerikanistik und Kommunikation. Bereits fünf Jahre später promovierte der wissenschaftliche Mitarbeiter an der Technischen Universität in Chemnitz. Seine Promotionsarbeit behandelt die Rolle des Tons in Film und Computerspiel. Im Jahr 2015 habilitierte Herr Professor Dr. Süß an der gleichen Universität, mit der Schrift „Laute Texte‘: Diskurse des Konflikts in der Kultur des antebellum“.
Karin Bock
Karin Bock studierte bis Mitte der 90er Jahre die Fächer Mathematik, Physik, Philosophie, Soziologie, Psychologie und Erziehungswissenschaft. Direkt im Anschluss erhielt sie ein Stipendium und promovierte zum Thema „Politische Sozialisationsprozesse im intergenerativen Vergleich“. Im Jahr 2007 habilitierte Frau Professorin Bock an der Universität Kassel, mit der Schrift „Kinderalltag – Kinderwelten. Rekonstruktive Analysen von Gruppendiskussionen mit Kindern aus Sachsen“. Seit 2012 ist Universitätsprofessorin für Sozialpädagogik an der Technischen Universität Dresden.
Akademische Vorarbeit
Die Grundidee der Forschung „HipHop meets Academia“ war eine internationale und gleichzeitig wissenschaftliche Tagung – ausgearbeitet wurde die Tagung von dem Kern des Teams. Wo genau fängt man bei der Planung einer solchen Tagung an?
Neben dem CFP wurden dann bereits bestehende Kontakte aus der “Hip Hop-Forscherszene” mit in das Forschungsboot geholt. Der Kontakt zu den Organisator*innen des Splash!s stellten Frau Bock, Herr Meier und Herr Süß her, indem sie an die Tür des Organisationsbüro klopften. Hier wurden die “Drei Nicht-Ur-Chemnitzer” offen empfangen, wie Herr Meier berichtet.
Mit den Einsendungen der Papiere von Forschenden und der Kooperationsbereitschaft der Festivalorganisator*innen stand der Tagung mit abschließendem Symposium auf dem Splash! nichts mehr im Wege. Die Tagung der Akademiker fand am 3ten und 4ten August 2006 im “Alten Heizhaus” in Chemnitz statt: Die Themen der Panels waren „Lokaler/Globaler HipHop“, „Identität und Inszenierung“, „HipHop als Medienkultur und soziale Praxis“ und „Die (splash!)-HipHop-Kultur als lokales Phänomen einer ‚alternativen‘ Lebensform“. Die Referent*innen kamen hierfür aus den USA, Polen, der Schweiz und Australien angereist – doch nicht nur Wissenschaftler zeigten Interesse an “HipHop meets Academia”, wie Stefan Meier berichtet:
Das Kultfestival “Splash!” im Wandel
Das Hip Hop-Festival „Splash!“ wird seit Ende der neunziger Jahre veranstaltet. Die dabei einschlägigen Genres sind Reggae, Drum and Bass und natürlich Hip Hop. Neben den drei Musikrichtungen wird auch Dancehall gespielt. Anfangs wurde das Festival am Stausee bei Oberraden veranstaltet. Doch über die Zeit veränderte sich die Location immer wieder – im Jahr von „HipHop meets Academia“ wurde das Festival am Stausee Rabenstein in Chemnitz ausgerichtet. An dem Wochenende des Splash!s besuchten rund fünfzehntausend Menschen das bereits etablierte Hip Hop-Festival. Auch die gewohnte Prominenz blieb nicht aus. Unter den Künstlern befanden sich beispielsweise Fat Joe, Shiml & Kollegah, Samy Deluxe, Prinz Pi und Casper. Das komplette Line-up bestand aus mehr als neunzig Interpreten.
Seit 2009 findet das Hip Hop-Festival in der Stadt aus Eisen Ferropolis bei Gräfenhainichen statt. Mit dem Wechsel der Location sind die Besucherzahlen in die Höhe gestiegen. Binnen der letzten Jahre, besuchen rund dreißigtausend Menschen das mittlerweile kultige Festival.
Vom Alten Heizhaus zum Stausee
Die geplante Podiumsdiskussion der Akademiker wurde auf dem Chemnitzer Festivalgelände in einem Fünfhundertmannzelt abgehalten. Im geschlossenen Kreis saßen sechs teilnehmende Wissenschaftler auf der Bühne und diskutierten die einzelnen Forschungsfragen. Während dessen moderierten Herr Meier und Herr Süß das Symposium. Mitten im Kreis stehend, wollten die beiden Professoren einen MC-Charakter erzeugen und damit das akademische Bild brechen. Eigentlich sollte ein Moderator im Laufe der Diskussion die Bühne verlassen, um einzelne Zuschauer mit einzubinden… Doch nicht viele der Festivalbesucher*innen tummelten sich in dem Zelt und folgten den akademischen Gesprächen. Trotz dessen fand auf der Bühne eine kontroverse und gleichzeitig interessante Diskussion unter den Akademikern und einigen wenigen Besucher*innen statt. Nach dem Symposium mischten sich die Wissenschaftler, aus einer ethnografischen Motivation heraus, unter die Festivalgänger.
Wir haben keine Lust da rumzuquatschen, wir wollen Musik hören!
Festivalbesucher
Anhand einiger Gespräche stellte sich heraus, dass die Besucher lieber die Musik genießen wollten als einer Diskussion zu folgen. Doch unter den Zuschauer*innen der Podiumsdiskussion befanden sich auch einige Artisten des Festivals. Diese regten das akademische Gespräch wiederum zu langfristigen Nachprojekten an, wie sich vor Ort und im Nachhinein zeigte.
Zentrale Herausforderungen
Die Podiumsdiskussion auf dem Festival stellte den wissenschaftlichen Höhepunkt der Tagung und ebenfalls der Forschung „HipHop meets Academia“ dar. Schon während der Diskussion bemerkten die beiden Moderatoren, dass sich der gemeinsame Austausch zwischen Akademikern und Festivalbesuchern schwierig gestaltet. Denn das Veranstaltungszelt wurde nur von wenigen Besuchern aufgesucht und viele Gäste verließen das Zelt nach ein paar Minuten. Zudem waren viele der restlichen Zuschauer, nicht in der körperlichen Verfassung, um an der wissenschaftlichen Diskussion teilzunehmen. Herr Meier mutmaßte, dass viele der Festivalbesucher nicht lange im Zelt blieben, da sie dort keine Musik erwartete. Der Austausch zwischen den beiden Parteien musste aus diesen Gegebenheiten kürzertreten. Trotz der Umstände gab es einige Gäste, welche im Zelt verweilten und die Diskussion, aus eigenem Interesse heraus, mitverfolgten. Auch ohne die geplanten Beiträge der Zuschauer, fand zwischen den Wissenschaftlern eine kontroverse und anregende Diskussion statt.
Resümee & Ausblick
Durch das Projekt „HipHop meets Academia“ stellten die drei Wissenschaftler schon im Jahr 2006 eine Tendenz zur Veränderung der zu untersuchenden Musikrichtung fest. Zu dieser Zeit wurden bereits erkannt, dass der Hip Hop durch erste ethnizistische Züge geprägt wurde. Im Gegensatz zu damals ist der heutige Hip Hop sehr stark ethnizistisch aufgeladen und wird sich tendenziell auch weiterhin am Ethnizismus orientieren. Zudem lässt sich der aktuelle Hip Hop mittlerweile im Pop oder R’n‘B verorten und greift in diesem Zuge andere Genres auf. Somit ist laut Herrn Meier festzustellen, dass der Hip Hop sich nach anderen tanzbaren Musikstilen ausrichtet und diese sich im Umkehrschluss an der Hip Hop-Kultur bedienen. Durch diesen Prozess verschwimmen die Grenzen der einzelnen Genres immer mehr. Trotz dessen zählt der Hip Hop, früher wie auch heute, zur langlebigsten Musikkultur.
Des Weiteren hat das Projekt auf ethnografischem und musikwissenschaftlichem Gebiet sehr viel Nähe zwischen der Hip Hop-Kultur und der Wissenschaft geschaffen. Die Kluft zwischen der Hood und der Universität wurde somit verkleinert. In Anbetracht des popkulturellen Forschungsgebiets konnte die noch herrschende Distanz nicht verringert werden. Laut Herrn Meier liegt dies an der akademischen Art des Umgangs, denn dadurch wurde die Popkultur und der Hip Hop immer sehr stark theoretisiert. Bei diesen Versuchen wird sehr stark mit philosophischen, gesellschaftstheoretischen und kulturtheoretischen Konzepten versucht die beiden Kulturphänomene Hip Hop und Popkultur zu erklären. Dieser Ansatz ist viel zu akademisch gedacht und wird von Artist- und Fanseite nicht angenommen. Denn der Hip Hop ist eine Handlungs- und Performancekultur. In dieser Szene geht es darum sich selbst zu vergemeinschaften und nicht zu schauen, ob akademische Gesellschaftstheorien sinnvoll sind. Aus diesem Grund werden diese beiden Diskurse wahrscheinlich immer voneinander getrennt bleiben und keinen gemeinsamen Nenner finden.
Frau Bock, Herr Meier und Herr Süß bereiteten ihre Forschungsergebnisse auf und veröffentlichten im Oktober 2007 das Buch HipHop meets Academia. Globale Spuren eines lokalen Kulturphänomens. Die Einleitung schrieben die Drei in Zusammenarbeit in Bad Doberan – nach getaner Arbeit ging es nach Heiligendamm an den Strand.
Erstellt wurde dieser Beitrag von
- Nicole Fromme (Videoschnitt, Bildakquise, Kontaktaufnahme)
- Sophia de Palma (Texte)
- Johanna Müller (Interview, Recherche, Finalisierung)
Ein besonderer Dank geht an Herrn Gunter Süß, der uns originale Bildaufnahmen aus dem Jahr 2006 zur Verfügung gestellt hat. Vielen Dank!