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Wenn die Kneipe plötzlich leer bleibt

Teil 3: Was die Corona-Pandemie mit den Gästen macht

Studenten, Stammgäste, Steilgänger und Säufer

Jeder, der einmal in die Koblenzer Kneipenlandschaft eingetaucht ist, kennt vermutlich diese eine Kneipe. Egal ob langjähriger Stammgast oder gelegentlicher Besucher, der Handelshof ist jedem Kneipenliebhaber ein Begriff. In den Hochzeiten am Wochenende versammeln sich 70 bis 80 Gäste gleichzeitig in dem kleinen und schmalen Gastraum. Wirt Marcel ist es dabei „besonders wichtig, dass das Mischungsverhältnis stimmt“.  

Er sieht den Handelshof nicht als reine Studentenschenke, nicht als pure Rock-Bar, nicht als Rentnerschuppen oder allein als Fußball-Kneipe. Im Handelshof sei jedermann willkommen. Und so ist es hier üblich, dass bei den 350-500 Gästen, die in der Zeit von 18 Uhr abends bis 9 Uhr morgens die Türschwelle überschreiten, die unterschiedlichsten Menschen aufeinandertreffen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass eine junge Studentin mit einem alteingesessenen Stammgast anstößt, dass ein Anwalt aus Mainz mit ehemaligen Kumpels an der Theke sitzt oder sich Kneipentouristen aus der Eifel und Abiturientinnen aus Koblenz in der Schlange vor der Eingangstür begegnen. Trotz dieser großen Heterogenität des Publikums, kennt Marcel selbst nach wenigen Besuchen den Namen und den Getränkewunsch seiner Gäste. Das schafft eine vertraute Atmosphäre und zieht viele Kunden immer wieder zurück hier hin.

Stammgast seit dem 16. Lebensjahr

Einer dieser Stammgäste ist Martin, 27 Jahre alt, Versicherungsangestellter und Kreisligafußballer. Als er im Alter von 16 Jahren das erste Mal den Handelshof betrat, lernte er Marcel als aufmerksamen Gastwirt kennen. Er schätzt an seinem Stammlokal das besondere Kneipenfeeling: Das schummrige Licht der nostalgischen Lampen, die lange hölzerne Theke und das alte Mobiliar sorgen für ein besonderes Flair. Neben Geschmack und Preis des frisch gezapften Königsbacher Bieres überzeugte Martin von Anfang an Marcels Blick fürs Detail.

„Auch wenn jetzt einfach nur ein Deckel unterm Bier stehen muss, das sind einfach so Kleinigkeiten, die inspirieren mich.“

Martin

Alle diese Dinge sorgten dafür, dass Martin mittlerweile seit elf Jahren Stammgast im Handelshof ist. Aus der Beziehung zu Marcel ist in dieser Zeit eine echte Freundschaft entstanden. Zu viele Nächte wurden miteinander verbracht, zu viele Worte ausgetauscht und zu viele Schnäpschen miteinander getrunken. Wenn es Martin wieder einmal in seine Stammkneipe zieht, braucht er sich nicht verabreden, er trifft ohnehin auf bekannte Gesichter und enge Vertraute, egal ob Freunde, andere Stammgäste oder Angestellte.

In seinem Heimatdorf gäbe es keine vergleichbaren Alternativen mehr und es ziehe ihn laut eigener Aussage regelmäßig in die schöne, natürliche Ecke zwischen Florinsmarkt und Liebfrauenkirche, in den „Teil der Altstadt, wo ich am liebsten bin“.

Und so erzählt er bei einem kühlen Königsbacher: „So einmal in der Woche bin ich eigentlich hier.“ Nachdem vom Nachbartisch und von hinter der Theke lautes Gelächter zu uns schallt, lenkt er schließlich mit einem Lachen ein: „Kommt aber auch schon mal vor, dass zwei Nächte draus werden…“

Man kennt sich eben im Handelshof, und zwar oft sogar über Namen und Getränkewunsch hinaus.

Seit 15 Jahren Stammkunden

Es ist Freitagabend und Annemarie und Fred haben mal wieder Lust auf ein erfrischendes Kaltgetränk in geselliger Runde. Und so finden sich die beiden Rentner einige Zeit später im Handelshof wieder – inklusive Prosecco für die Dame und Königsbacher für den Herrn. Gegen 20 Uhr steht die Oldie Parade an, ein besonderer Anreiz für das Paar.

Doch auch sonst findet man die beiden Metternicher oft im Koblenzer Handelshof. All ihre Ausgeh-Aktivitäten, so erzählen sie, fänden nicht in ihrem Heimat-Stadtteil statt, sondern in der Altstadt, und zwar fast ausschließlich im Handelshof. Das hat mehrere Gründe, aber einer scheint ganz offensichtlich zu sein:

„Wir gehen dahin wo es Königsbacher-Bier gibt. Königsbacher ist Königsbacher.“

Fred

Im Handelshof sind alle gleich

Aber auch ansonsten fühlen sich die beiden langjährigen Gäste in Marcels Handelshof besonders wohl. Sowohl den Wirt und seine Frau als auch die anderen Gäste schätzen die beiden sehr. Hier herrsche ein vertrauensvoller und vor allem respektvoller Umgang, egal ob jung oder alt. Denn hier treffe man eben nicht nur junge Menschen, sondern auch mittelalte Gäste und alte Stammkunden, so wie sie. Viele von ihnen kennen den ehemaligen Schiedsrichter und die ehemalige Wirtin einer eigenen Kneipe von einem der unzähligen Besuche. Und so treffen sie immer auf „Leute, mit denen man sich gerne unterhält“ und „mit denen wir uns sehr wohl fühlen“. Umgeben von jungen feiernden Menschen und inmitten einer urigen Kneipe scheint für die beiden die Zeit still zu stehen.

Und so nehmen Annemarie und Fred seit mittlerweile 15 Jahren regelmäßig den Weg von Metternich in die Koblenzer Altstadt auf sich. Denn sie genießen die Zeit im Handelshof sehr. Marcel und seine Frau seien „einfach top“ und ihre Kneipe sei „toll, einfach toll“.

Wenn die Kneipe plötzlich leer bleibt

All diese Gäste, für die die Stammkunden Martin sowie Annemarie und Fred nur exemplarisch stehen, trafen die Auswirkungen der Corona-Pandemie hart. Neben den vordergründigen Emotionen der Ungewissheit und Angst bezüglich des Virus selbst, sollten sich nach kurzer Zeit auch konkretere Folgen ergeben. Folgen, die Einfluss haben auf einen ganz entscheidenden Teil der Freizeitbeschäftigung, den obligatorischen Kneipenbesuch. Was seit Jahren nicht vorstellbar war, ist eingetreten. Kein frisch gezapftes Königsbacher, kein lockeres Gespräch an der Theke, kein gemeinsames Feiern, kein Abschalten vom Alltag – die Kneipe war geschlossen.

Als am 22. März 2020 alle Gastronomiebetriebe schließen mussten, waren auch viele der Handelshof-Gäste traurig, enttäuscht, ratlos. Nicht, dass einer von ihnen die Maßnahme in Frage stellen würde, vielmehr stellte die Schließung der Stammkneipe eine ungekannte und überfordernde Situation für viele dar. Wie bei den meisten wurde nun fast jeder Tag in Gänze zu Hause verbracht – egal ob Arbeit, Freizeit, Hobby oder Home-Office. Wie aber reagieren die (Stamm-)Gäste einer Kneipe auf die Auswirkungen des Lockdowns und inwiefern wird der fast rituelle Besuch kompensiert?

Home-Drinking statt Kneipenfeeling?

Annemarie und Fred gehören selbst zur Risikogruppe und waren schockiert von der Schließung des Handelshofs. Seit vielen Jahren zieht es die beiden in die Kneipe in der Koblenzer Altstadt – plötzlich war dies keine Option mehr. Natürlich haben die beiden auch das ein oder andere Fläschchen Königsbacher bzw. Prosecco im heimischen Kühlschrank, doch getrunken wurde kaum zu Hause, erzählen sie. Es sei einfach ein anderes Gefühl in den eigenen vier Wänden, allein. 

Ähnlich erging es Stammgast Martin. Ihn habe das Gefühl von Traurigkeit umgeben, so sehr ist er emotional mit dem Ort und seinen Menschen verbunden. Nicht nur das fehlende Zapfbier, auch die vielen anderen Gäste und engen Vertrauten hinter der Theke vermisste er in dieser Zeit sehr. Die Kommunikation und das so viel zitierte Kneipenfeeling seien im heimischen Wohnzimmer nicht zu ersetzen.

Und doch öffnet er auch seinen Blick und macht sich in dieser Zeit nicht nur Sorgen um sich selbst und den Handelshof, sondern um die ganze Kneipenkultur. Wer überlebt diese so dramatische Situation und welche Kneipe „macht vielleicht gar nicht mehr auf“?

Zwischen Lockdown und Partystimmung

Und so macht er keinen Hehl daraus: „Am ersten Wochenende wo hier wieder auf war, war ich wieder da.“ Zum einen, weil er es selbst so sehr vermisst hat, aber vor allem, um Marcel und seine Kneipe wieder zu unterstützen.

„Das ist mir eine Herzensangelegenheit jetzt auch in der Phase zumindest auch regelmäßig hier hin zu kommen. Dass man einfach da ist, dass man Präsenz zeigt, dass er Arbeit hat und dass er auch bisschen Geld verdient. Das ist mir jetzt persönlich wichtig.“

Martin

Auch das Ehepaar kommt seit der Öffnung des Handelshofs wieder regelmäßig hier her, auch wenn die Bedingungen zunächst natürlich ganz andere sind als gewohnt. Sonst seien die beiden bis spät in die Nacht in der Kneipe, jetzt müssen sie um halb zehn mit dem Taxi heim. Aber, so erzählen sie, „da müssen wir durch, ist halt so“. Sie nehmen die Corona-Maßnahmen gerne in Kauf, denn sie genießen die Besuche im Handelshof nach langer Abstinenz ganz besonders.

Natürlich sei es in den ersten Wochen etwas befremdlich gewesen, so ganz ohne den Thekenbetrieb, ohne die Enge und ohne das freie Bewegen in der Kneipe. Das Flair des Handelshofs sei ein Stück weit verloren gegangen. Entscheidend ist für Martin und für viele andere aber: Besser unter diesen Bedingungen als gar nicht.

Der Handelshof hält zusammen

Die Zeit des Lockdowns war also nicht nur für die Angestellten und den Wirt eine schwierige Phase, auch viele der Gäste waren emotional hart betroffen. Und so ist der Handelshof seit der Öffnung wieder voll, soweit das unter den gegebenen Maßnahmen möglich ist natürlich.

Der Ort Handelshof, die Menschen dort und die Erinnerungen daran sind für viele ein unverzichtbarer Teil des Lebens geworden. Das wurde, wie so oft, erst in Zeiten des Verzichts besonders deutlich. Das Kneipenfeeling, die Geselligkeit und das frisch gezapfte Königsbacher missen zu müssen, war für viele (Stamm-)Gäste eine große Herausforderung.

Doch der Handelshof, samt Wirt Marcel, seiner Frau Yvonne, seinen Angestellten und vor allem den vielen Gästen hat diese Herausforderung fürs Erste gemeistert. Sie alle eint eine große Verbundenheit zu ihrer Kneipe, bei der die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit, zwischen Kunden und Angestellten fließend sind.

Die vielen Gäste, die so verschieden sind, dass sie ein Abbild der Gesellschaft darstellen könnten, haben alle ihren Handelshof vermisst. Aber sie hatten auch immer das Schicksal ihrer Freunde im Kopf, das des Wirtes und seiner Frau, sowie der jungen Angestellten.

Mittlerweile ist es Spätsommer geworden: Und so hat die Handelshof-Familie diese Krise (zumindest für Erste) gemeinsam überstanden und die Kneipe bleibt auch weiterhin so bestehen, wie man sie kennt: Uriges Kneipenfeeling mitten in der Altstadt, ein vertrautes und familiäres Umfeld und vor allem frisch gezapftes Königsbacher Bier.

Ein Projekt in Zeiten von Corona birgt viele Herausforderungen. Neugierig auf die Hintergründe?

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