Konzepte

Konzepte einer Didaktik des digitalen Storytellings

Digitales Storytelling als Didaktik kohärenzstiftender Wissenskonstruktion

Digitales Storytelling als didaktischer Ansatz beruht auf verschiedenen Konzepten. Sie verbindet digitalkommunikative Kulturpraktiken mit (sozial-)semiotischen Paradigmen der Multimodalitätsforschung und journalistische Erzählansätze.

Lerntheoretisch beruht eine solche Didaktik auf ein abduktives Verstehen und Gestalten von Inhalten in narrativ-dramaturgischen Arrangements mittels digitaler Medien. Wissensvermittlung und -aneignung entstehen so durch die Herstellung von Kohärenz der Lehrenden und Lernenden auf medialer, semiotischer und erzählerischer Ebene. Sie macht sich damit den menschlichen Drang nach Vollständigkeit, anlass- und handlungslogischer Stimmigkeit (Authentizität) zunutze. Sie baut auf der kreativen Suche nach Zusammenhang, Ganzheitlichkeit sowie Formvollendung auf, wie es unter anderem ebenfalls in der Gestaltpsychologie oder der soziologischen Narrationsanalyse angenommen wird.

Eine Didaktik des digitalen Storytelling sieht Kohärenzstiftung zwar durch die Kommunikate, Texte, und Medienprodukte angeregt. Der konkrete Vollzug hängt jedoch vom Wissen und der Fähigkeit der Produzierenden und Rezipierenden selbst ab. Sie füllen die kommunikativen und semantischen Lücken, die ein Medienkommunikat enthält. Dabei greifen sie auf ihr enzyklopädisches Wissen um kulturelle Muster, (mediale) Praktiken und soziale Bedeutungen (Diskurswissen) zurück. Je mehr Wissen aus diesen Bereichen besteht, desto mehr können die Möglichkeiten der Kohärenzstiftung ausgeweitet werden. Ein Lernprozess ist die Folge.

“… erstens ist Kohärenz immer relativ zu Textrezipienten, bzw. genauer: relativ zu den Verständnissen, welche die Textrezipienten von den einzelnen Textelementen haben (und damit relativ zu ihrem je subjektiven, möglicherweise unterschiedlichen Wissen); und zweitens ist das, was verknüpft ist, nicht der Text „als solcher“ (nicht die Ausdrucksseite, nicht die „Textoberfläche“, nicht „grammatisch“), sondern einzelne Verständnisse oder Interpretationen von Textelementen.”

Dietrich Busse (1996)

Für das digitale Storytelling findet die Kohärenzstiftung auf drei Ebenen statt, die ihrerseits spezifische Kompetenzen erfordern und mit ihrer Übung gefördert werden:

  • Kohärenzstiftung auf medialer Ebene zur Förderung medienpraktischer Kompetenz
  • Kohärenzstiftung auf semiotischer Ebene zur Förderung multimodaler Kompetenz
  • Kohärenzstiftung auf erzählerischer Ebene zur Förderung narrativer Kompetenz

Kohärenzstiftung auf medialer Ebene

Kinder und Studierende erstellen digitale Stories an Tablets und iPads.
Digitales Storytelling als fächerübergreifende Lehr- Lernmethode in Tabletklassen und studentischen Seminaren.
Smartphones, Social Media und WordPress lassen sich zur Produktion und Publikation von digitalen Stories nutzen.
Das Smartphone als Produktions-, Rezeptions- und Publikationsmedium. Autoretools und Serverarchitekturen zur technischen Professionalisierung des Storytellings.

Digitales Storytelling findet in Abstimmung mit den zur Verfügung stehenden medialen Ressourcen und den medienpraktischen Fertigkeiten statt. Lehrende und Lernende müssen ein Bewusstsein für die Funktionalität der einzelnen Medien bekommen und die damit verbundenen materiellen, daten-, persönlichkeits- und lizenzrechtlichen Bedingungen. Bereits das Smartphone oder das Tablet lassen als Einstiegs- und Alltagsmedien viele Formen des digitalen Storytellings zu. Dies in Abgleich mit den konkreten Lernumgebungen zu bringen, ist Bestandteil der medialen Kohärenzstiftung.

Die medienpraktischen Anforderungen sind bis in professionelle Bereiche des Videoschnitts sowie der Bild-, Ton- und Grafikbearbeitung skalierbar. Auch die nötigen Autorentools und Hostinfrastrukturen können unter Berücksichtigung sicherheitsrelevanter Bedingungen bereits über Office-Anwendungen und Social Media-Diensten genutzt werden. Sie lassen sich weiterhin durch den Erwerb lizensierter Autorentools Content-Management-Systeme (CMS, WordPress oder Pageflow) und den Aufbau eigener Serverstrukturen weiter professionalisieren.

Kohärenzstiftung auf semiotischer Ebene

Zeichenproduzierende und Rezipierende setzen die verschiedenen Zeichenphänomene (Text, Bild etc.), angeregt durch Layout, Abfolgen und Nähe (Kohäsion) in Bezug zueinander. Sie nutzen das eine Zeichen, um das andere les- und verstehbar zu machen. So lässt sich ein Bild anders verstehen, wenn es betitelt ist, als wenn es das nicht ist..

Der Titel lenkt die Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Bildinhalt und ordnet diesen in das Zeit-Raum-Kontinuum ein. Er gibt den gezeigten Dingen ihren Namen und ordnet diese in bestimmte Kontexte ein. Auf diese Weise setzen die Zeichennutzenden die weiteren benachbarten Zeichen in Beziehung zueinander und konstruieren so situations- und kulturabhängig stimmig erscheinende Gesamtbedeutungen (Kohärenzen).

Kommunizierende füllen aktiv die semantischen Lücken zwischen den Zeichen. Anschaulich wird dies bei der Comic-Lektüre, die diese Imaginationspraxis zwischen den Comic-Panels zum künstlerischen Prinzip erklärt hat. Erst das Kopfkino stelllt den narrativen Zusammenhang zwischen den Panels her. In der Semiologie/Semiotik spricht man dabei metaphorisch auch von Transkriptionsprozessen.

aus: Scott McCloud (2001): Comics richtig lesen, Hamburg: Carlsen Comics, S. 74.

Comiclektüre ist die transkribierend interpretative Reise zwischen den Zeichen und Zeichentypen.

“Ludwig Jäger (2002, 2004) hat die Idee entwickelt, dass die  Generierung  von  Bedeutungen und Sinn grundsätzlich  durch  die  ‚transkriptive‘ Bezugnahme von Zeichen auf  Zeichen zu erklären ist, nicht in erster Linie durch den Bezug von Zeichen auf Sachen, zu denen wir ja keinen unmittelbaren Zugang haben. (…)

Auch aus einem noch bedeutungslosen Ausdrucksmaterial, einem ‚Präskript‘, wird durch ein Verfahren der Bezugnahme, das er gewollt metaphorisch „Transkription“ nennt, nachträglich etwas Lesbares  oder besser Verstehbares, ein ‚Skript‘, allerdings nicht in beliebiger Weise; es gibt Angemessenheitskriterien, die geltend gemacht werden können. (…).”

Werner Holly (2000: 365)

Frames sind somit (verstehensrelevante) Wissensrahmen (Busse 2008) bzw. Kontextualisierungen (Fraas 2011), in die man interpretativ Zeichenphäomene als Filler einordnet. Sie liefern so auch eine bestimmte Perspektive auf die Phänomene, evozieren Bewertungen, lassen ein Glas halbvoll oder halbleer erscheinen. Eine solche haltungsabhängige Perspektivierung bzw. Hervorhebung (Salienzstiftung) wird häufig auch als Framing bezeichnet.

Die Einordnung von Phänomenen als Filler in konzeptuelle Framekonzepte passiert nicht ungefiltert. Sie vollziehen sich vielmehr mittels Framingpraktiken. Dabei werden je nach Kommunikationskontext und -anlass einzelne Zeichenphänomene anderen gegenüber hervorgehoben (Salienzstiftung).

Augmented Reality-Game Supermario macht die kognitive Hervorhebung (Salienzstiftung) der Spielelemente nötig. Andere Zeichenphänomene wie Bäume, Passanten etc. treten in den Hintergrund

Empfinden Kommunizierende konstruierte Slot-Filler-Zuordnungen jedoch (in Abhängigkeit ihrer kulturellen Verortung) als stimmig oder angemessen, so erscheint das Ergebnis dieses abduktiven Sinnschlussverfahrens als kohärent. Lassen sich Widersprüche oder Mehrdeutigkeiten nicht ausräumen, so verbleibt das Zeichenphänomen/das Kommunikat weiterhin inkohärent. Die Skripte (zugeschriebene Bedeutungen) der Einzelzeichen ließen sich so nicht zu einem schlüssigen Transskript zusammenführen bzw. in ein übergeordnetes Frame-Konzept einordnen.

Kohärenzstiftung auf erzählerischer Ebene

Auf erzählerischer Ebene stellen sich Kohärenzeffekte zumeist über sinn-, verlaufs- und handlungslogischer Stimmigkeit her. Diese wird wiederum aufgrund von Frame-Konzepten der Produzierenden und Rezipierenden bemessen, welche sie durch ihr sozialisierendes Medienhandeln in Familie, Schule, Beruf und Peer-Gruppen entwickelt haben.

Frame-Konzepte dienen so als Richtschnur für kulturelle Angemessenheitserwartungen und -vorstellungen. Erzählende inszenieren darauf aufbauend die Verhaltens- und Handlungsweisen der Figuren in Interaktion mit ihren Erzählwelten, während Rezipierende ihre Konzepte wiederum für die Beurteilung der realisierten Sinn- und Handlungslogiken zugrunde legen. Da die genutzten Frame-Konzepte je nach Wissensstände und unterschiedlichen Erfahrungshorizonten divergieren können, kann es auch zu Missverständnissen und Fehlbeurteilungen kommen. Allerdings besteht eine narrative Kompetenz des Erzählenden darin, sich in die kulturellen Orientierungen eines Modelrezipierenden hineinversetzen zu können. Irritationen können natürlich auch als dramaturgisches Mittel der Aufmerksamkeitsstiftung eingeflochten werden. Jedoch scheint auch hierbei ein Maß vonnöten zu sein, wenn man als Erzählender verständlich bleiben will.

Der Erzählsatz als Mittel der narrativen Kohärenzstiftung

Kohärenzeffekte sind planbar. So formulieren Erzählprofis zu Beginn jeder Geschichte zunächst einen Erzählsatz. Dieser stellt den Plot der Erzählung dar. Er bestimmt konkret den/die Protagonist:in mitsamt seinen/ihren die Narration initiierenden Eigenschaften und Herausforderungen. Beschreibt die Entwicklung und stellt eine Lösung oder einen Endpunkt in Aussicht.

Ein Erzählsatz kommt also in folgender Form daher:
A (der Protagonist) will B (seine Absicht/sein Ziel), weil er C (die Motivation) hat, dies zu erreichen, stößt aber auf D (Hindernisse). Diese Hindernisse muss der Protagonist überwinden, oder es zumindest versuchen. Der Erzählsatz ist damit der Kompass, an dem sich die Geschichte ausrichtet.

Preger, Sven (2019): Geschichten erzählen Storytelling für Radio und Podcast, Wiesbaden: Springer, S. 35.
Die Maus-Geschichten sind prototypische Umsetzungen des Erzählsatzes.

Dimensionen der narrativen Kohärenzstiftung

(angelehnt an Joachim Friedmann 2013)

  • Prototypische Struktur einer Geschichte als Drei- oder Fünfakter (Problem, Verlauf, Lösung)
  • Semantisierung des Erzählraums und der Objekte (Requisiten)
  • Narrative Gestaltung von Figuren (Identitäten mit Rollen und Handlungslogiken)
  • Plot charakterisiert durch Zielorientiertheit der Protagonist:innen, welche aufgrund von Herausforderungen, Eigenschaften und Konflikten/Antagonist:innen gehemmt sowie durch Wendungen, Hilfe und am Schluss durch Erfolg oder Scheitern charakterisiert sind (Erzählsatz))
  • Partizipation der Rezipierenden an der Sinnproduktion
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