Die Musikwissenschaftlerin folgte im letzten Jahr dem Ruf an die Universität Koblenz-Landau ans Institut für Musikwissenschaft und Musikpädagogik am Campus Koblenz. Seit 2019 ist sie Leiterin des DFG-Forschungsprojektes „Darstellung und Rezeption klassischer Musiker*innen bei YouTube: Aufführungs- und Lebenspraxen im digitalen Zeitalter“.
Sie wurden in herausfordernden Zeiten an die Universität Koblenz-Landau berufen. Wie erleben Sie den Einstieg ins digitale Semester?
Was die digitale Lehre betrifft, konnte ich glücklicherweise auf Erfahrungen aus einem Forschungsworkshop im Sommer zurückgreifen. Sich dann jedoch mit wieder neuen Formaten und Plattformen vertraut zu machen, war natürlich eine Herausforderung. Durch diesen zeitlichen Mehraufwand hat die Forschung aktuell leider das Nachsehen. Aber die tolle Unterstützung des Rechenzentrums, die guten Tools des Instituts für Wissensmedien und nicht zuletzt die große Geduld der Studierenden haben mir den Start sehr erleichtert. So langsam läuft alles rund. Problematisch bleibt jedoch die wachsende Frustration der Studierenden, die verständlich ist. Ich bemühe mich, zwischen asynchronen Arbeitsphasen und synchronen Onlinetreffen zu wechseln. So kann zumindest ein wenig persönlicher Austausch stattfinden, um dieser Frustration entgegenzuwirken. Doch obwohl es ein sehr ungewöhnlicher Einstieg war, freue ich mich sehr, hier zu sein. Eigentlich eben nicht hier in Bochum, sondern da in Koblenz. (lacht) Es macht mir nichtsdestotrotz sehr viel Spaß und ich konnte die Kollegen und Kolleginnen wenigsten online schon ein bisschen kennenlernen. Das kann das Glas Wein am Abend in geselliger Runde nicht ersetzen, aber auch dazu werden wir irgendwann noch kommen können.
Von der Ausbildung zur Buchhändlerin zur Musikwissenschaft – erzählen Sie uns von Ihrem spannenden beruflichen Werdegang.
Die Ausbildung zur Buchhändlerin war tatsächlich ein Sicherheitsnetz. Ich habe als Jugendliche meine Liebe zur klassischen Musik und zur Oper entdeckt. Andere spielen Luftgitarre, ich stand zu Hause auf der imaginären Opernbühne. Ich wollte alles über diese tollen Werk wissen, das heißt, Musikwissenschaft war schon früh mein Traum. Da ich aber aus einer nicht akademischen Familie komme und mir das doch als Orchideenfach vorkam, dachte ich, ich müsste auch was Richtiges machen, so was Handfestes. Die Zeit während der Ausbildung habe ich dann tatsächlich auch genutzt, um Defizite des nordrhein-westfälischen Musikunterrichts aufzuarbeiten. Ich nahm Klavierunterricht, übte mich in Gehörbildung und beschäftigte mich mit Musiktheorie. Auch der Gedanke, die Ausbildung zur Buchhändlerin mit der Liebe zur Musik zu verbinden und beispielsweise in einem Musikverlag zu arbeiten, kam mir zwischenzeitlich. Dass ich mich dann doch für die Wissenschaft entschied, lag an meinem Auslandsaufenthalt im Studium und zwar am King‘s College London. Dort habe ich auch eine Gesangsausbildung begonnen. Das war für mich ein spannender und wichtiger Baustein und bereitete den Weg zu meinen Forschungen. Ich beschäftige mich unter anderem mit gesangsästhetischen Fragen von früher Neuzeit bis in die Gegenwart. Mit Fragen von Ausgrenzung, Einschluss und Geschlechterbinaritäten, u. a. am Beispiel von Opern des 17. Und 18. Jahrhunderts. In meiner Habilitationsschrift setzte ich mich mit der hohen männlichen Stimme auseinander, da geht es sowohl um Gesangsästhetik als auch um Gender. Als ich aus England zurückkam, war die Idee eines pragmatischen Berufes in einem Musikverlag einfach tot. Schließlich hatte ich großes Glück, nach dem Magister ein Promotionsstipendium zu bekommen und ich konnte den Weg in der Wissenschaft trotz längerer Durststrecken weitergehen.
In Ihrer Vita und ihren Forschungsschwerpunkten finden sich viele Bezüge zur Geschlechterforschung in Bezug auf Musikwissenschaft. Was fasziniert Sie an diesem Thema?
Bezüge zur Geschlechterforschung fanden sich schon früh in meinen Fragestellungen. Vor allem die Zeit am interdisziplinären Graduiertenkolleg „Erkenntnisprojekt Feminismus“ prägte mich dahingehend sehr. Wir haben damals schon Donna Haraway gelesen. Da waren wir schon irgendwie am Puls der Zeit. Grundsätzlich ist die Etablierung der Genderforschung in der Musikwissenschaft wie in vielen anderen Disziplinen auf das verstärkte Interesse einzelner Personen in Gründer- und Sattelzeiten zurückzuführen, die sich im besten Fall auch institutionalisieren. So hat sich etwa in der Gesellschaft für Musikforschung vor 30 Jahren die Fachgruppe Frauen- und Gender Studien, früher Frauenforschung genannt, gegründet. Hier ging es anfangs primär um feministische Frauenforschung. Das war zugegebenermaßen nicht so mein Ding, weil die Opferrolle der Frau im Fokus stand. Es fing damit an, dass man nach Komponistinnen gesucht hat, wie etwa in der Literaturwissenschaft nach Autorinnen. Clara Schumann oder Fanny Hensel, um nur einige Namen zu nennen, waren stets Schwester von, Tochter von oder Ehefrau von, aber wurden nicht als eigenständige Personen wertgeschätzt. In meiner Promotion habe ich mich mit Medea-Opern im 17. und 18. Jahrhundert beschäftigt. Eine Frau als Kindsmörderin und Zauberin auf die Bühne zu bringen, galt im 17. und 18 Jahrhundert als unerhört. Ein weiteres Forschungsthema ist Stimme und Geschlecht, wie in der schon genannten Habilitationsschrift zur hohen männlichen Stimme, die in der Musikgeschichte 400 Jahre lang durch die Kastration (ja, wirklich!) von Jungen vor der Pubertät hergestellt wurde. Musikwissenschaft kann also auch für die Geschlechterforschung ein ganz zentrales Feld darstellen und ist schon immer Teil meiner Forschungsarbeit.
Jemanden, in dessen Leben die Musik eine so große Rolle spielt, muss ich das einfach fragen: Was ist Ihr Lieblingslied, warum und was verbinden Sie damit?
Mit Lied kann ich tatsächlich nicht dienen. Die Musikwissenschaft versteht unter Lied etwas anderes als das, was allgemein darunter verstanden wird. Lied ist für uns das Kunstlied des 19. Jahrhunderts. Abgesehen davon kann ich mich als Musikwissenschaftlerin unmöglich auf ein Lied, Stück, Werk oder gar auf einen Komponisten oder eine Komponistin einschränken. Das geht gar nicht (lacht). Notfalls müsste ich sagen Georg Friedrich Händel und seine Opern. Aufgewachsen bin ich mit Wagner, Verdi und Schubert. Ich liebe weltliche Vokalmusik, so kann ich es vielleicht am besten ausdrücken.
Was verbinde ich damit? Nun ja, in erster Linie Emotionen. Dabei drückt Musik nicht nur Emotion aus, sie bewirkt auch Emotion. Musik betrifft meine Existenz und ist für mich ein „Lebensmittel“, emotionale Nahrung und tatsächlich existenzieller Bestandteil des Lebens.
Entschuldigung, jetzt bellt gerade der Hund. Almira von Händel. Sie ist benannt nach Georg Friedrich Händels erster Oper.
Vor welchen Herausforderungen stehen die Geisteswissenschaften (an unserem Campus) in den kommenden Jahren Ihrer Meinung nach?
Ich bin ja hier sozusagen in die Teilung der Universitäten Koblenz und Landau hineingerutscht und in einem Fachbereich gelandet, den ich für sehr stark halte und den es weiter zu stärken gilt. Ich glaube, die grundierende Funktion der Kulturwissenschaften verbindet, hält die Disziplinen zusammen und macht diese besondere Stärke aus. Die Geisteswissenschaften und insbesondere auch die kleinen Fächer – und ich bin Vertreterin eines wirklich sehr kleinen Faches – stehen natürlich auch vor besonderen Herausforderungen. Ich bin jedoch überzeugt davon, dass wir das nötige Potenzial haben, um durch Klasse statt Masse zu überzeugen. Musik und Kulturvermittlung (auch in digitalen Medien) ist ein zentrales Thema, dessen sich der Fachbereich glücklicherweise auch angenommen hat. Auf mein eigenes DFG-gefördertes Projekt „Darstellung und Rezeption klassischer Musiker*innen bei YouTube: Aufführungs- und Lebenspraxen im digitalen Zeitalter“ blicke ich auch als Musiksoziologin und sehe hier auch Möglichkeiten einer starken fachbereichsübergreifenden Zusammenarbeit. Die Geistes- und Sozialwissenschaften beschäftigen sich mit zentralen Fragen zur Entwicklung der Gesellschaft, wir haben etwas zu sagen und beizutragen. Ich blicke zuversichtlich in die Zukunft.