„Das Böse ist immer und überall!“, heißt es im Refrain des 1985 veröffentlichten Songs Ba-Ba-Banküberfall der Ersten Allgemeinen Verunsicherung (EAV). Zum Glück weist die EAV nachdrücklich auf diesen Umstand der Allgegenwart des Bösen hin, denn wie sollte in einer Zeit und Kultur das Gute bestimmt werden, ohne den Kontrast bzw. das Verhältnis zum Bösen zu berücksichtigen? Der einst populäre und immer noch gekannte Song der österreichischen Pop-Rock-Band macht bereits darauf aufmerksam: Indem er ‚das Böse‘ dem Lachen preisgibt, betont er seinen Konstruktionscharakter. Ein Blick auf unsere Zeit ergibt den paradoxen Befund, dass einerseits, in bestimmten kulturellen und sozialen Kontexten, klare Zuschreibungen und Zuordnungen von ‚Gut‘ und ‚Böse‘ existieren, sie in anderen Kontexten aber relativiert oder tabuisiert werden, bis hin zu ihrer vollständigen Negation. So finden sich in totalitären Systemen extreme Beispiele für Gut-Böse-Dualismen, man denke an den Nationalsozialismus oder an Staaten wie Nordkorea. Dies kann bis zur vollständigen Umwertung gehen. Der Holocaust als bislang wohl größtes Verbrechen gegen die Menschlichkeit wurde als notwendiger Schritt einer Rassenhygiene ‚gerechtfertigt‘. Dass ein solcher millionenfacher, größtenteils industrialisierter Massenmord überhaupt möglich werden konnte, hat zu einer tiefgreifenden Infragestellung von schematischen Gut-Böse-Konstruktionen geführt.
Es waren und sind philosophische wie literarische Texte sowie Kunstwerke, die Fragen des ‚Bösen‘ verhandeln und die produktiv gemacht werden können, um mit ihnen das Möglichkeitspotenzial von Literatur und Kunst näher zu beschreiben. Philosophie, Literatur und Kunst sind schließlich von Menschen für Menschen gemacht, daher lässt sich auch von ‚Figurationen des Bösen‘ sprechen. „Mit dem Begriff der Figuration lenkt man die Aufmerksamkeit auf die Interdependenzen der Menschen. Die Frage ist, was Menschen eigentlich in Figurationen zusammenbindet“ (Norbert Elias). Was unter ‚dem Bösen‘ verstanden werden kann, wird kontextbezogen und situativ ausgehandelt; es ist dabei ein Problem der Vermittlung auf mehreren Ebenen und dies beginnt bereits auf der Ebene des Textes: Goethes Faust. Eine Tragödie (1808) gilt als berühmtester Text der deutschsprachigen Literatur, obwohl er davon handelt, dass ein Teufel einen Gelehrten verführt, dieser sich auch gern verführen lässt und am Ende durch beider Schuld eine Familie ausgelöscht wird, ohne dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Schon hier zeigt sich, dass es zu wenig ist, einen literarischen Text auf der Ebene der histoire (Genette) zu betrachten, dass vielmehr die Ebene des discours die entscheidende ist. Aber weshalb lesen wir einen Text wie den Faust, der vom ‚Bösen‘ handelt, welche produktive Leistung ist damit verbunden – und wie lässt sie sich, etwa auf der Bühne oder im Schulunterricht, an Rezipientinnen und Rezipienten vermitteln? Vielmehr: Lässt sie sich denn überhaupt vermitteln, ohne die konstitutive Deutungsoffenheit von Literatur zu stören? Und welche Rolle spielt diese konstitutive Deutungsoffenheit im Prozess der Diskursivierung ‚des Bösen‘?
Die Tagung beginnt am Mittwoch, 01.06.22, mit dem Abendvortrag “Reuespur” von Ulrich Horstmann in der Stadtbibliothek (Einlass 19.00 Uhr, Beginn 19.30 Uhr). Der Eintritt ist frei. Auch die Vorträge und Diskussionen der Tagung am 02. und 03.06 können besucht werden. Wir bitten dabei vorab um ein formloses Anmeldungsschreiben an Werner Moskopp (wmoskopp@uni-koblenz.de). Es können noch Änderungen im Programm auftreten.
Plakat-14-04-2022 Tagungsprogramm27-05-2022